Donnerstag, 29. März 2018

Stoff und ökonomische Formbestimmung.


Soweit die reine Form, die ökonomische Seite des Verhältnisses betrachtet wird – der Inhalt ausserhalb dieser Form fällt hier eigentlich noch ganz ausserhalb der Oekonomie, oder ist als von dem ökonomischen unter-schiedner natürlicher Inhalt gesezt, von dem gesagt werden kann, daß er noch ganz von dem ökonomischen Verhältniß getrennt ist, weil er noch unmittelbar mit ihm zusammenfällt – so treten nur 3 Momente hervor, die formell unterschieden sind: Die Subjekte des Verhältnisses, die Austauschenden; in derselben Bestimmung gesezt; die Gegenstände ihres Austauschs, Tauschwerthe, Equivalente, die nicht nur gleich sind, sondern aus-drücklich gleich sein sollen und als gleich gesezt sind; endlich der Akt des Austauschs selbst, die Vermittlung, wodurch die Subjekte eben als Austauschende, Gleiche, und ihre Objekte als Equivalente, gleiche gesezt wer-den. 

Die Equivalente sind die Vergegenständlichung des einen Subjekts für andre; d. h. sie selbst sind gleich viel werth und bewähren sich im Akt des Austauschs als Gleichgeltende und zugleich als Gleichgültige gegen / einander. Die Subjekte sind im Austausch nur für einander durch die Equivalente, als gleichgeltende und be-währen sich als solche durch den Wechsel der Gegenständlichkeit, worin das eine für andre ist. Da sie nur so als Gleichgeltende, als Besitzer von Equivalenten, und Bewährer dieser Equivalenz im Austausche für einander sind, sind sie als Gleichgeltende zugleich Gleichgültige gegen einander; ihr sonstiger individueller Unterschied geht sie nichts an; sie sind gleichgültig gegen alle ihre sonstigen individuellen Eigenheiten. 

Was nun den Inhalt angeht ausserhalb dem Akt des Austauschs, der sowohl Setzen als Bewähren der Tausch-werthe, wie der Subjekte als Austauschender ist, so kann dieser Inhalt der ausserhalb der ökonomischen Form-bestimmung fällt, nur sein: 1) Die natürliche Besonderheit der Waare, die ausgetauscht wird. 2) Das besondre natürliche Bedürfniß der Austauschenden, oder beides zusammengefaßt, der verschiedene Gebrauchswerth der auszutauschenden Waaren. 

Dieser der Inhalt des Austauschs, der ganz ausserhalb seiner ökonomischen Bestimmung liegt, so weit entfernt die sociale Gleichheit der Individuen zu gefährden, macht vielmehr ihre natürliche Verschiedenheit zum Grund ihrer socialen Gleichheit. Wenn das Individuum A dasselbe Bedürfniß hätte wie das Individuum B und in dem-selben Gegenstand seine Arbeit realisirt hätte, wie das Individuum B, so wäre gar keine Beziehung zwischen ihnen vorhanden; sie wären gar nicht verschiedne Individuen, nach der Seite ihrer Production hin betrachtet. 

Beide haben das Bedürfniß zu athmen; für beide existirt die Luft als Atmosphäre; dieß bringt sie in keinen socialen Contact; als athmende Individuen stehn sie nur als Naturkörper zu einander in Beziehung, nicht als Personen. Die Verschiedenheit ihres Bedürfnisses und ihrer Production giebt nur den Anlaß zum Austausch und zu ihrer socialen Gleichsetzung in ihm; diese natürliche Verschiedenheit ist daher die Voraussetzung ihrer socialen Gleichheit im Akt des Austauschs und dieser Beziehung überhaupt, worin sie zu einander als produc-tiv treten. 

Nach dieser natürlichen Verschiedenheit betrachtet ist das Individuum [A] als Besitzer eines Gebrauchswerths für B, und B als Besitzer eines Gebrauchswerths für A. Nach dieser Seite sezt die natürliche Verschiedenheit sie wieder wechselseitig in das Verhältniß der Gleichheit. Demnach sind sie aber nicht gleichgültig gegen einander, sondern integriren sich, bedürfen einander, so daß das Individuum B als objectivirt in der Waare ein Bedürfniß für das Individuum A ist und vice versa; so daß sie nicht nur in gleicher, sondern auch in gesellschaftlicher Be-ziehung zu einander stehn. Dieß ist nicht alles. Daß das Bedürfniß des einen durch das Product des andren und vice versa befriedigt werden kann, und der eine fähig ist den Gegenstand dem Bedürfniß des andren zu produ-ciren und jeder dem andren als Eigenthümer des Objekts des Bedürfnisses des andren gegenübersteht, zeigt, daß jeder als Mensch über sein eignes besondres Bedürfniß / etc übergreift, und daß sie sich als Menschen zu einander verhalten; daß ihr gemeinschaftliches Gattungswesen von allen gewußt ist. 
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Grundrisse, MEGA II/1.1  S165ff.   [MEW 42, S. 167f.]    



Nota. - Allah hat seinem Propheten die Verse des Korans durch den Erzengel Gabriel direkt auf die Zunge legen lassen. Marx war kein Prophet, sondern Wissenschaftler, in den Grundrissen sehen wir zu, wie er progres-siv seine Gedanken klärt und um die darauf passenden Wörter ringt. Er 'kokettiert' dabei nicht nur mit Hegels 'eigentümlicher Ausdrucksweise', sondern bedient sich einstweilen seiner Begriffe, um seine Gedanken über-haupt auf dem Papier festhalten zu können. 

Der Inhalt falle 'noch ganz außerhalb der Ökonomie', heißt es hier; deren Gegenstand sei lediglich die Form. Natürlich meint er die Politische Ökonomie, in der er noch ganz befangen ist, noch weiß er nicht, was am Ende seiner Untersuchung stehen wird: Eben dies war ja die Mystifikation der Politischen Ökonomie, dass sie vorgab, das reale Geschehen der gesellschaftlichen Reproduktion als bloße Form darstellen und den historischen 'Stoff' links liegen lassen zu können. Diese Erkenntnis reift erst langsam ab Heft IV der Grundrisse, und schließlich wird Marx die Kritik der Politischen Ökonomie in dem Satz zusammenfassen, dass bei ihm der Gebrauchswert 'eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Ökonomie'. 

Und auch der Hegeljargon wird übrigens ab Heft IV immer seltener, jedenfalls braucht er ihn nicht mehr zur Selbstverständigung. Dies hatte die Politische Ökonomie nämlich mit dem Hegel'schen System gemein: dass sie den Begriffen, die doch nichts als mehr oder weniger passende Namen für mehr oder minder bestimmte Vorstel-lungsakte sind, eine eigene Wirklichkeit und Wirksamkeit zuschreibt. In den Grundrissen erleben wir mit, wie Marx sich nach und nach von diesem metaphysischen Sparren freimacht. Das fängt damit an, dass er, wie an obiger Stelle, die Hegel'schen Begriffe kritisch, nämlich gegen die Begriffe der Politischen Ökonomie ausspielt. Sie gehen schließlich beide daran zu Bruch.
JE 29. 2. 16

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