Samstag, 12. September 2015

Fichte, Marx und Hegel.


Im Kapitel über die Wertform* habe er "mit der hegelschen Ausdrucksweise kokettiert", schreibt Marx im Nachwort zum KapitalFür Generationen 'westlicher' Marxisten und Marxianer war das seinerseits eine Koket- terie. Zu Dutzenden und Hunderten bemühten sie sich, das Marx'sche Werk im Sinn der Hegel'schen Dialektik zu deuten, denn die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erlitten habe, verhindere ja "in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat". Man müsse sie, um ihren rationellen Kern freizulegen, lediglich 'vom Kopf auf die Füße' stellen. Vom Kopf auf die Füße – das war das unfassliche Abrakadabra des pp. Westlichen Marxismus. Darüber ist viel geschrieben worden, und ein Ende war nicht abzusehen.

Immerhin ist impliziert, dass die Dialektik bei Hegel nicht das Original, sondern eine untergeschobene Fehl- farbe ist. Tatsächlich war die Urform der neueren** Dialektik das von Fichte entwickelte analytisch-synthe- tische Verfahren der Wissenschaftslehre. Sie will nicht sein das spekulativ eingesehene Bewegungsgesetz der Welt, sondern die Weise, in der die Philosophie (=Kant & Fichte) das vorgefundene reale Bewusstsein der Menschen erklärt: Setzen und bestimmen ist nur möglich als entgegen-setzen. Die Begriffe sind nichts anderes als die Denkakte der Menschen, die sie in der diskursiven Darstellung so behandeln, als ob sie Fakten wären.

Die Marx'sche Kritik geht so vor, dass sie unter den überzeitlichen Begriffen der Politischen Ökonomie die ihnen zu Grunde liegenden Handlungsweisen der Menschen freilegt. Indem Marx die Hegel'sche Dialektik 'vom Kopf auf die Füße' stellte, hat er sie auf ihre Fichte'sche Urform zurückgeführt. Für Fichte wie für Marx haben Ideen, Begriffe und Gedanken Realität nur, soweit sie das Handeln wirklicher Menschen ausdrücken.


War Fichte nicht 
aber Idealist und Marx erklärtermaßen Materialist?

Idealismus hat zwei verschiedene, in einem gewissen Sinn entgegengesetzte Bedeutungen. Im landläufigen, fast umgangssprachlichen (und nicht zuletzt von Marx und Engels eingeführten) Gebrauch bezeichnet er eine Leh- re, die 
 wie zuletzt die Hegel'sche und zuerst die Plato'sche Philosophie  den Ideen, Begriffen, Vorstellungen, kurz: dem Geist eine eigene Realität zuspricht; sei es neben den Erscheinungen, sei es 'hinter' denselben als ihr 'Wesen'. In der philosophischen Schulsprache heißt dieser Standpunkt darum der realistische.

Das ist eine metaphysische, Seins-logische Aussage über die Natur der Dinge. In der Schulsprache wurde der Ausdruck Idealismus in einem kritischen, Wissens-logischen Sinn gebraucht, als Aussage über Wesen und Her- kunft unseres Erkennens, Wissens, Verstehens; als eine Antwort auf die Frage, woher unsere Vorstellungen kommen. Die Auffassung, sie gingen von den Dingen 
 lat. res  aus, heißt wiederum die realistische. Dagegen steht die idealistische Auffassung, die meint, sie gingen  umgekehrt  vom Sehenden aus: gr. idein = sehen. In diesem Sinn war Fichte der Radikalste unter den Idealisten.

Ein kritischer oder, wie Fichte (mit Kant) sagt, "transzendentaler" Idealist kann logischerweise kein Ideen-Realist sein. Er kann sich zu metaphysischen, Seins-logischen Fragen überhaupt nicht äußern, denn nach seiner Vor- aussetzung kann er von einem 'Wesen' der Dinge 'hinter' ihrer Erscheinung ja nichts wissen; er kann nicht ein- mal sinnvoll danach fragen. Aber die Erscheinungen leugnet er nicht, sie sind vielmehr die einzigen Realitäten, die er kennt. Real ist nur, was angeschaut wird. Angeschaut wird jedoch, was im Raum ist. Was aber im Raum ist, ist nach Fichte Materie. So dass ein transzendentaler Idealist zwar kein metaphysischer Materialist sein kann; aber eine Forschung kann er nur als Wissenschaft achten, soweit sie materialistisch verfährt: nichts gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit nachweisen lässt.

Zu wissenslogischen Fragen wiederum hat Marx sich theoretisch nicht geäußert. Aber indem er die dialektische Methode aus einer Selbstbewegung der Idee in ein Sezierbesteck des kritischen Subjekts zurückverwandelte, hat er sie praktisch beantwortet.

Ein Hegelianer in metaphysischem, ideenrealistischen Sinn war Marx nicht. Hegels Dialektik hat er ihrer meta- physischen, ideenrealistischen Verhüllung entkleidet und subjektiviert - und hat sie, ohne Fichte zu kennen, an ihren ursprünglichen Platz gesetzt. 

*

Ach, das ist grob und schematisch, ich weiß. Es ließe sich noch Vieles daran anknüpfen, aber das ist der sprin- gende Punkt: anknüpfen. Es ist ganz allgemein, aber in dieser Allgemeinheit trifft es zu. Folgen mögen Spezifizie- rungen und Konkretisierungen; aber keine Einschränkungen noch Relativierungen.

*) im Anhang zur ersten Auflage des I. Bands, 1867

**) im Unterschied zu dem scholastischen Begriff, der auf Plato zurückging und nur eine rhetorische Methode des Argumentierens bedeutete.

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