Samstag, 5. September 2015

Die außerökonomische Entstehung des Eigentums.

Grabmal Theoderichs in Ravenna (wikimedia)

Was Herr Proudhon die ausserökonomische Entstehung des Eigenthums nennt, worunter er eben das Grundeigenthum versteht, ist das vorbürgerliche Verhältniß des Individuums zu den objektiven Bedingungen der Arbeit, und zunächst den natürlichen objectiven Bedingungen der Arbeit – denn, wie das arbeitende Subject natürliches Individuum, natürliches Dasein [war, so] erschien die erste objektive Bedingung seiner Arbeit als Natur, Erde, sein unorganischer Leib; es selbst ist nicht nur der organische Leib, sondern diese / unorganische Natur als Subjekt. Diese Bedingung ist nicht sein Product, sondern vorgefunden; als natürliches Dasein ausser ihm ihm vorausgesezt. 

Eh wir dieß weiter analysiren noch dieß: der brave Proudhon könnte nicht nur, sondern müßte, eben so gut das Capital und die Lohnarbeit – als Eigenthumsformen – ausserökonomischer Entstehung bezüchtigen. Denn das Vorfinden der objektiven Bedingungen der Arbeit als von ihm getrennter, als Capital von Seiten des Arbeiters und das Vorfinden des Arbeiters als Eigenthumslosen, als abstrakten Arbeiters von Seiten des Capitalisten – der Austausch, wie er zwischen Werth und lebendiger Arbeit vorgeht unterstellt einen historischen Process, – so sehr Capital und Lohnarbeit selbst dieß Verhältniß reproduciren und in seinem objektiven Umfang ausarbeiten, wie ebenso in die Tiefe hinein – einen historischen Process, wie wir gesehn haben, der die Entstehungsgeschichte des Capitals und der Lohnarbeit bildet. 

In andren Worten: die ausserökonomische Entstehung des Eigenthums heißt nichts als die historische Entstehung der bürgerlichen Oekonomie, der Productionsformen, die durch die Categorien der politischen Oekonomie theoretisch oder ideal ausgedrückt werden. Daß die vorbürgerliche Geschichte, und jede Phase derselben, aber auch ihre Oekonomie hat und eine ökonomische Grundlage der Bewegung ist au fond die blose Tautologie, daß das Leben der Menschen von jeher auf Production, d'une manière ou d'une autre gesellschaftliche Production beruhte, deren Verhältnisse wir eben ökonomische Verhältnisse nennen. 
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Grundrisse, MEGA II/1.2,  S. 392f. [MEW 42, S. 396f.]


Nota. - Die Ökonomen vor Marx hätten es gern so dargestellt, als habe sich das bürgerliche Eigentum im freien Spiel der Kräfte rein nach wirtschaftlichen Gesetzen von selbst entwickelt, ungehindert durch sachfremde äu- ßere Faktoren. Marx stellt nun dar, wie die "wirtschaftlichen Gesetze" – die Gesetze der – überhaupt erst entste- hen konnten, weil sie zunächst und 'ursprünglich' nicht gegolten haben; dass der Ursprung des Kapitals nicht das Kapital, sondern der feudale Grundbesitz war – und, in seiner Folge, die Vertreibung des Landvolks von Grund und Boden. Die hatte wohl ökonomische Motive; aber einem wirtschaftlichen 'Gesetz' folgte sie nicht, sondern wurde möglich durch Gewalt. Wenn also die Akkumulation des Kapitals wirtschaftlichen Gesetzen folgt, so hatte die sogenannte ursprüngliche Akkumulation des Kapitals Ursachen, die nicht rein ökonomisch zu erklären waren: Das ist ja der Kern der Kritik der Politischen Ökonomie.

Die Rede von wirtschaftlichen 'Gesetzen' gehört zu der spezifisch bürgerlichen Mystifikation der kapitalisti- schen Gesellschaft als System; 'System' und 'Gesetz' gehören begrifflich zusammen. Dass die vorbürgerlichen Formen des Eigentums andere Gründe hatten als bloß wirtschaftliche, war von diesem Standpunkt durchaus plausibel (und darum spottet Marx an dieser Stelle); denn die bürgerliche Gesellschaft verstand sich als die Freisetzung der Naturgesetze der Ökonomie aus ihren feudalen Fesseln und den Überresten der Sklaverei. 

Die Sklaverei als Produktionsverhältnis beruht nicht auf der Wirtschaft, sondern auf der Unterwerfung ganzer Völkerschaften durch Krieg und Raub –  von den lakedämonischen Heloten bis zu den Negersklaven Nord- und Südamerikas. Die feudeln Eigentumsformen der Grundherrschaft und der vielfältig bedingten Formen des Landbesitzes im Mittelalter sind hervorgegangen aus den germanischen Invasionen in den Ländern des zerfal- lenden Römischen Reichs. Die Vorstellung von der Wirtschaft als einer autonomen, selbstlaufenden Maschine, die alle Fesseln sprengt und alle Hindernisse überrollt, konnte erst mit der bürgerlichen Gesellschaft selbst aufkommen.

Um so peinlicher für sie, dass Marx ihr nun demonstrierte, wie wenig sie letzten Endes auf 'sich selbst' beruhte und wieviel sie in Wahrheit ihrem Erbfeind, dem feudalen Grundbesitzer verdankte!
JE




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