Dienstag, 1. September 2015

Das Wertgesetz gilt nur für die bürgerliche Gesellschaft.


M. Liebermann

Andrerseits ist die Bedingung des Tauschwerths Messen desselben durch Arbeitszeit, und daher die lebendige Arbeit – nicht ihr Werth – als Maaß der Werthe. Es ist eine delusion als beruhte in allen Productionszuständen die Production und daher die Gesellschaft auf dem Austausch von bloser Arbeit gegen Arbeit. In den verschiednen Formen, worin die Arbeit sich zu ihren Productionsbedingungen als ihrem Eigenthum verhält, ist die Reproduction des Arbeiters keineswegs durch blose Arbeit gesezt, denn sein Eigenthumsverhältniß ist nicht das Resultat, sondern die Voraussetzung seiner Arbeit. 

Im Grundeigenthum ist es klar; im Zunftwesen muß es auch klar werden, daß die besondre Art Eigenthum, die die Arbeit constituirt, nicht auf bloser Arbeit oder Austausch der Arbeit beruht, sondern auf einem objektiven Zusammenhang des Arbeiters mit einem Gemeinwesen und Bedingungen, die er vorfindet, von denen er als seiner Basis ausgeht. Sie sind auch Producte / einer Arbeit, der weltgeschichtlichen; der Arbeit des Gemeinwesens – seiner historischen Entwicklung, die nicht von der Arbeit der Einzelnen noch dem Austausch ihrer Arbeiten ausgeht. Es ist daher auch nicht die blose Arbeit Voraussetzung der Verwerthung. 

Ein Zustand in dem blos Arbeit gegen Arbeit ausgetauscht wird – sei es in der Form unmittelbarer Lebendigkeit, sei es in der Form des Products – unterstellt die Loslösung der Arbeit von ihrem ursprünglichen Zusammengewachsensein mit ihren objektiven Bedingungen, weßwegen sie auf der einen Seite als blose Arbeit erscheint, andrerseits ihr Product als vergegenständlichte Arbeit ihr gegenüber ein durchaus selbstständiges Dasein als Werth erhält. Der Austausch von Arbeit gegen Arbeit – scheinbar die Bedingung des Eigenthums des Arbeiters – beruht auf der Eigenthumslosigkeit des Arbeiters als ihrer Basis.
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Grundrisse, MEGA II/1.1, S. 416f. [MEW 42, S. 422]


Nota. - Der Tauschwert herrscht, das Wertgesetz gilt in einer Gesellschaft, in der bloß Arbeit gegen Arbeit ausgetauscht wird. Das unterstellt, dass die Arbeiter nicht mehr an ihr ursprüngliches, 'naturwüchsiges' Produk- tionsmittel: den Grund und Boden, gebunden sind, denn sonst bräuchten sie nur ihre Überschüsse zu tauschen, nicht aber ihre Arbeit selbst - "sei es in der Form unmittelbarer Lebendigkeit, sei es in der Form des Produkts". Historisch-faktisch heißt das: wo die Masse der Arbeiter eigentumslos ist und ihre Arbeit nicht in Produkten vergegenständlichen können, sondern ihre unmittelbare Lebendigkeit selber in Tausch geben. 

Nehmen wir an eine Gesellschaft von lauter individuellen Produzenten, wo niemand mehr für sich selbst und jeder nur noch für den andern produziert und sein ganzes Produkt als Ware austauscht - lebendige Arbeit gegen lebendige Arbeit. Das setzte voraus einen hohen, aber nicht zu hohen Grad von technischer Entwick- lung mit florierender Kleinindustrie. Denn bestünde der Großteil der Produktion aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, dann gäbe es für die Produzenten wenig Anlass, ihre Produkte gegen die der andern auszutau- schen: Die meisten würden dasselbe produzieren, und sie könnten und müssten den größten Teil davon selbst verbrauchen. Also würde die Gesellschaft nicht auf dem Tausch beruhen und bedürfte der Tausch nicht eines allgemeinen verbindlichen Maßes; er bliebe Randerscheinung.

Wir nehmen also an eine Gesellschaft von vielen gewerblichen und wenigen landwirtschaftlichen Kleinprodu- zenten, die ihre gesamte Produktion gegeneinander tauschen - zu ihrem Wert.

Dem Begriff nach wäre das ja möglich. Aber historisch faktisch war sie es nicht. Denn wie und woher sollte eine Gesellschaft ausschließlich von gewerblichen und landwirtschaftlichen Einzelbetrieben denn entstanden sein? Der Großgrundbesitz (oder das ursprüngliche Gemeindeland) hätte in Kleinparzellen aufgeteilt werden müssen und gleichwohl produktiv genug sein, um die große Bevölkerungsmehrheit für die Kleinindustrie frei- zusetzen. Zugleich müssten aber sowohl die konsumtiven als auch die produktiven Bedürfnisse der Gesell- schaft insgesamt noch so dürftig entwickelt sein, dass sie im technischen Rahmen vereinzelter Kleinbetriebe bedient werden könnten. Wenn jedoch alle kleine Handwerker und kleine Kaufleute sind - wer soll ihnen ihr Zeug abkaufen?* Geld brauchen sie aber, denn sonst können sie sich nichts zu essen kaufen, und die paar ver- bliebenen Bauern bleiben auf ihren Ernten sitzen. 

Nein, tun sie nicht: Denn da die ganze Industrie aus kleinen Handwerksbetrieben besteht, kann es keine land- wirtschaftlichen Maschinen geben, die die Einzelhöfe so produktiv machen würden, dass sie den Rest der Gesellschaft ernähren könnten. Wenn also die Worte einem Sinn behalten sollen: Auch dem Begriff nach ist eine solche Gesellschaft nicht möglich.

Den Wert gibt es folglich erst in der bürgerlichen Gesellschaft. Der Begriff kam erst, als sich die Sache ausge- bildet hatte: eine Gesellschaft, die darauf gründet, dass lebendige Arbeit gegen tote Arbeit eingetauscht wird. Es gab ihn nicht vorher und es wird ihn nachher nicht geben. Das Wort mag bleiben.


*) Es könnten eigentlich nur Konsumgüter ausgetauscht werden, denn für Ausrüstungsgegenstände fehlte so- wohl die industrielle Kapazität, als auch die Nachfrage. Und wenn der Schuhmacher doch einmal einen neuen Leisten bräuchte, würde er ihn nicht vom Fagus-Werk kaufen, sondern von einem selbstständigen Handwerker; sofern er ihn nicht selber baut, gleich für die kommenden Generationen mit.

JE









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